Am Samstag, den 1. April 2023 fan in Heidelberg der Studientag des IFGK in Zusammenarbeit mit der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion statt. Rund 30 Menschen nahmen online oder vor Ort teil. Trotz krankheitsbedingtem Ausfall einer Referentin tauschten sich die Teilnehmenden über spannende Inputs aus.

Julia Nennstiel: Pazifismus und Antimilitarismus in der Friedens- und Konfliktforschung: Eine Kritik

Julia Nennstiel studierte Philosophie und Politikwissenschaft in Bielefeld und Internationale Beziehungen in Manchester, mit Schwerpunkt auf Kritischen Sicherheitsstudien und Protestforschung. Sie war Praktikantin bei der DFG-VK und engagiert sich derzeit bei dem Japan Peace Committee und dem Thinktank Peace Depot.

Julia referierte über Pazifismus und Antimilitarismus in der Friedens- und Konfliktforschung. Auf der Grundlage einer systematischen Recherche nach Forschungsbeiträgen der letzten fünf Jahre, die sich explizit mit dem Begriff des ‚Pazifismus’ oder ‚Anti-militarismus’ identifizieren, stellte sie deren zentrale Diskurslinien dar. Sie zeigte, dass sich pazifistische Ansätze derzeit primär auf pragmatische oder metatheoretische – und weniger auf gesinnungsethische – Argumente stützen, und dass anti-militaristische Beiträge vor allem auf die negativen innen- und außenpolitischen, ökonomischen und sozialen Folgen militärischer Verteidigungssysteme auch in ‚Friedens’-zeiten fokussieren.

Wie Julias Analyse des Zitationsnetzwerkes dieser pazifistischen und anti-militaristischen Beiträge einerseits und anderer Forschungsartikel zu den Themen „Frieden“, „Konflikt“ und „Krieg“ andererseits verdeutlichte, werden diese pazifistischen und anti-militaristischen Forschungspublikationen allerdings in der weiteren friedens- und konfliktwissenschaftlicher Forschung kaum rezipiert; sie sind vom diskursiven Zentrum der Fachdebatte gewissermaßen abgeschnitten.

Abschließend stellte Julia einige feministische und postkoloniale Kritiken und Anregungen gegenüber pazifistischer und anti-militaristischer Forschung vor.

In der auf den Input folgenden Debatte diskutierten Teilnehmende die Hintergründe der randständigen Position pazifistischer und anti-militaristischer Ansätze in der gegenwärtigen Friedens- und Konfliktforschung sowie das Verhältnis von pazifistischer bzw. anti-militaristischer Forschung und pazifistischen und anti-militaristischen Bewegungen in der politischen Praxis.

Uli Wohland: Plädoyer für einen pragmatischen Pazifismus

Uli Wohland, Soziologe, Campaigner, Organizer, Trainer für CampaPeace, freier Mitarbeiter in der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, aktiv in der Friedensbewegung

Ulrich Wohland stellte eingangs verschiedene Dilemmata vor, denen sich die Friedensbewegung(en) heute gegenüber sehen und die vor allem mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängen. Er unterschied vier Strömungen in der Friedensbewegung:“fakultativer Pazfismus“, prinzipieller gewaltfreier Pazifismus, Antimimperialismus und nationalistische Strömungen.
Dem prinzipiellen Pazifismus stellen sich drei Fragen zur Praxis: Wie Kriege verhindern, beenden und was nach Kriegen tun? Zu dem ersten und dritten gibt es viel Wissen, zum zweiten, der Beendigung von Kriegen, nur wenig. Was gebraucht werde, sind

  1. Eine Diskursverschiebung
  2. Konzepte für alle drei Konfliktphasen und
  3. Projekte, Aktionen und Druckkampagnen

Uli Wohland sprach von einer dreifachen pazifistischen Diskursverschiebung:

  1. Verschiedene Dilemmata und Widersprüche militärische Ansätze (Finanzierungsdilemma, Verteidigungsdilemma, Erfolgsdilemma, Klimadilemma, Gewaltdilemma) darstellen
  2. Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten (Z.B.Gender, postkolonialer Diskurs, Anthropozän-Diskussion, Klimadebatte usw.
  3. Neue Narrative – friedenslogisches Denken verbreiten

Genau wie beim Klima gibt es auch bei den Fragen von Krieg und Frieden Kipppunkte, die benannt werden sollten.

In Anlehnung an Johan Galtungs Konfliktdreieck benannte Uli Wohland als Dreieck: Strukturelle Gewalt abbauen, kulturelle Gewalt überwinden, personale Gewalt verhindern.

Soziale Verteidigung ist ein wichtiger Ansatz, um Kriege zu beenden. Sie sollte aufgebaut und gleichzeitig militärische Verteidigung abgebaut werden. Defensive Verteidigung könnte dabei ein Zwischenschritt sein.

Mitstreiter*innen gesucht: "Waging Nonviolence" im deutschsprachigen Raum - Eine Deutsche Nachrichtenseite für gewaltfreien Protest

Dr. Dalilah Shemia-Goeke hat bei Brian Martin zu strategischer Gewaltfreiheit gegenüber multinationalen Konzernen promoviert und war als Friedensfachkraft im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes in Israel/Palästina tätig

Wer hat Lust, so etwas wie WagingNonviolence.org – also eine netzwerkübergreifende Nachrichtenseite zu gewaltfreiem Widerstand – im deutschsprachigen Raum zu etablieren? Es geht um journalistisch aufbereitete Geschichten aus verschiedenen Bewegungen, die inspirieren und zum Nachdenken und Handeln anregen. Auf diese Weise das Wissen um die Kraft der Gewaltfreiheit zu verbreiten, könnte einen Beitrag zur politischen Bildung sowie zur Vernetzung, zum Austausch und kollektiven Lernen leisten. Da die Idee noch in den Kinderschuhen steckt, geht es hier zunächst darum, Mitstreiter*innen zu finden, um dieses Vorhaben zu verwirklichen.
Wer an diesem Projekt Interesse hat, kann ihre Anschrift beim IFGK erfragen.

Kevin Kaisig: Kipppunkte – Eine Analyse der Erfolgsbedingungen gewaltfreien zivilen Widerstands unter dem Blickpunkt integrativer Macht

Kevin Kaisig hat Kommunikations- und Politikwissenschaften in München (Bachelor) und Internationale Beziehungen in Berlin (Master) und in Moskau studiert. Er engagiert sich in Deutschland bei Peace Brigades International (pbi).

Ziviler Widerstand muss Gewalt abbauen, um erfolgreich zu sein. Das zeigen historische Beispiele wie die indische Unabhängigkeitsbewegung unter Mahatma Gandhi oder die Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King. Gewalt beginnt in den Köpfen der Menschen. Gewaltabbau gelingt durch integrative Macht, die Kevin Kaisig der ökonomischen und der Macht durch Drohung (threat power) entgegensetzt. Anhand von mehreren Beispielen will er untersuchen, wie es gelingen kann, Gewalt konstruktiv auszuhebeln und sie für Gewaltausübende nutzlos zu machen. Dabei will er sowohl Beispiele anschauen, bei denen der Widerstand von der Entscheidung einzelner Personen ausging (wie bei den Frauen in der Rosenstraße) und wo er als People Power organisiert war (Beispiel Philippinen).

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